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Das freisinnige Blog von Fritz Schmude.

AfD-Flügelschlagen

2015-05-14 21:05
Für die mediale Zunft ist der Fall klar: da gibt es einerseits die bösen Rechten und andererseits den gemäßigten Prof. Bernd Lucke.
Insgesamt soll sich der Leser also ein Fundi-Realo-Dauergezänk vorstellen, wie die Älteren es noch von den Grünen im vorigen Jahrtausend kennen.
Gewinnen die Realos, ist alles gut, gewinnen die Fundis, geht das Abendland unter - damals das rechts-bürgerliche Abendland, heute das des linken Mainstreams.
So kann man die gängigen Medienberichte über die AfD in diesen Monaten zusammenfassen.
Im Bundestagswahlkampf 2013 war für das schreibende Gewerbe noch Lucke der böse Rechte, was einen über die jetzige Holzschnitzerei allerorten schon staunen lässt.

Tatsache ist, dass die AfD von Leuten überrannt worden ist, die mit solider Haushaltspolitik eher wenig, und dafür mit zahlreichen verschiedenen Spinnereien umso mehr zu tun haben. Ein Links-Rechts-Konflikt ergibt sich daraus nicht, eher schon einer zwischen Verstand und Sektierertum.
Das (mir) wichtigste Beispiel für eine Bewegung, die in einer demokratischen europäischen Partei nichts zu suchen hat, sind die Putinisten. Mit Putinismus meine ich die Weltanschauung, die sich nicht damit zufrieden gibt, gute Beziehungen zwischen Deutschland und Russland zu wünschen, sondern allen Ernstes im Autokraten Wladimir Putin Friedens- und Freiheitsbringer, Erlöser und Problemlöser aller Miseren Europas und insbesondere Deutschlands sieht.
Wenn diese lautstarke Minderheit die Partei verlässt und die Solidarität der Demokratien, zu denen die USA und Israel nun mal gehören, nicht mehr fundamentalistisch bekämpft wird, wäre ich sehr froh.

Deutsche Freunde Wladimir Putins


Dass Putinisten und andere Verirrte die AfD überrennen, liegt nicht an der AfD. Vielmehr ist hier ein grundsätzlicher Mechanismus am Werk, von dem jede Parteigründung in einer Demokratie mit fest etabliertem Parteiensystem betroffen ist. Alle, die sich schon seit längerer Zeit außerhalb des Parteiensystems sehen, stürzen sich auf die jeweiligen Neugründungen. Diese Leute kennen sich untereinander, nicht zuletzt von vorigen Versuchen, und sie besitzen sehr viel Zeit und Energie (Geld weniger).

Geert Wilders' PVV in den Niederlanden und das Team Stronach in Österreich haben für dieses Problem eine originelle Lösung gefunden:
Nur der Häuptling ist einziges Mitglied seiner Partei! Alle anderen sind nur Förderer ohne Stimmrecht. Damit hat der Häuptling jederzeit die Möglichkeit, seine Gefolgsleute bis hinab zur Gemeindeebene eigenmächtig einzusetzen und zu entlassen.

Prof. Bernd Lucke hat diese Möglichkeit nicht. Das deutsche Parteiengesetz schreibt vor, dass eine Partei nach innen einen demokratischen Aufbau haben muss. Aber könnte man nicht Stronach und PVV emulieren? Könnte man nicht den gewünschten Effekt, dass die Partei die Linie des Vorsitzenden nie verlässt, einfach mit Parteiausschlüssen erreichen?

Zu diesem Zweck wurde vom Lucke-Lager ein Mitglieder-Entscheid angeleiert, der Zustimmung oder Ablehnung zu einem programmatischen Text erfassen soll.
Dieser Text ist so angelegt, dass er den Spinnern unter uns klar macht, dass sie in der falschen Partei sind.
Die Spinner würden dann austreten und es gilt dann jetzt und in Zukunft nur noch das, was sich Prof. Lucke je nach Tagesform so vorstellt.
Dieser Plan des Lucke-Lagers kann natürlich schon allein deswegen nicht funktionieren, weil die Rechtsradikalen und sonstigen Spinner nicht so blöde sind, nicht zu bemerken, dass sie hinauskomplimentiert werden sollen.
Alle innerparteilichen Spinnerfraktionen werden also erst recht bleiben.

So recht es mir wäre, wenn Putinisten, Compact-Spinner, "identitäre" Hohlschwätzer, NPD-Gutfinder und sonstige Sektierer, die außer ihrer eigenen keine weitere Wählerstimme mitbringen, den Laden verlassen, so sehr geht es mir und eigentlich allen, mit denen ich dieser Tage so spreche, persönlich gegen den Strich, wenn der große Vorsitzende im Alleingang bestimmen will, welche Gedanken genehm sind und welche nicht.
Kommen wir nun zu den konkreten Punkten des Mitgliederentscheids (i.F. ME).

Was im Mitgliederentscheid fehlt


Warum zum Beispiel werden Familienideologen nicht zu den Unerwünschten gezählt?
Obwohl ich das Rennen auf Aufstellungsversammlungen, wer das spießigste Privatleben und die meisten Kinder hat, jederzeit locker gewinnen würde, weigere ich mich, derlei zur politischen Kategorie zu machen.
Mir ist es ausgesprochen peinlich, wenn einzelne Leute das immer wieder versuchen, Demographie hin oder her.

Und das: Bereits in der Anfangszeit der AfD gab es vereinzelt Probleme mit homophoben Parteimitgliedern. Warum versucht der ME nicht, auch diese loszuwerden?

Grundsätzlich fehlt im ME auch ein Bekenntnis zur Freiheit des Individuums. Leider ist das nicht wahltaktisch begründet (Deutsche wollen und wählen eh keine Freiheit, sondern nur die Farbe ihrer Ausplünderer), sondern liegt tatsächlich daran, dass Bernd Lucke ("Ich bin kein Liberaler") hier einen blinden Fleck hat.
Das Bemühen, alles auf Lucke-Linie zu trimmen, mag dazu führen, dass die Linie nicht schlechter als Lucke wird - aber es führt auch dazu, dass sie nicht besser werden kann.

Wo es der Mitgliederentscheid übertreibt


Im Punkt 3. des ME heißt es:
"Wir lehnen eine Zusammenarbeit mit Parteien ab, die europafeindliche oder ausländerfeindliche Positionen vertreten. Dazu zählen z.B. der französische Front National und die niederländische Partij voor de Vrijheid."
Da fragt sich der Leser, ob das Kooperationsverbot auch durchgezogen werden soll, wenn Marine Le Pen Präsidentin Frankreichs ist?
Ist die UKIP "europafeindlich"?
Zu dem von Eurokraten erfundenen Quatschbegriff "europafeindlich" würde mir noch die "Wahren Finnen" und die "Prawo i Sprawiedliwość" einfallen. Doch Moment: Sitzen die Lucke-Leute nicht mit genau diesen im EU-Parlament in einer Fraktion?

Hier wäre es besser gewesen, inhaltlich zu beschreiben, was man will (Euro nein, EU ja, Ausländerfeindlichkeit natürlich nein) anstatt überstrenge Kontaktverbote auszusprechen.

Der Punkt 7. des ME verbietet die Kooperation mit der Demonstrationsbewegung Pegida. Wie schlau das ist, wenn die meisten Pegida-Teilnehmer mit der AfD sympathisieren, kann sich jeder selbst ausrechnen.
Der Punkt 7. will aber noch mehr. Er will "Schreckenstaten [...] nicht dem Islam allgemein anlasten". Nach so einem Generalverbot wäre auch jede Form von liberal, menschenrechtlich oder atheistisch motivierter Islamkritik untersagt.
Wer so einer Formulierung zustimmt, ist entweder in Sachen Islam völlig ignorant oder Muslim.
Für Muslime hätte ich mehr Verständnis, da niemand etwas für seine Kindheitsprägung kann.

Aus all den genannten Gründen habe ich die Punkte 3. und 7. des ME abgelehnt.

Es gibt noch einen Punkt, dem ich zwar zugestimmt habe, der aufgrund seiner dusseligen Formulierung für beträchtliche Irritationen sorgt.
Dieser kommunikative Verkehrsunfall in Punkt 2. lautet:
"Direkte Demokratie muss sich auf Schlüsselentscheidungen beschränken."
Dem Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" folgend interpretiere ich das so, dass nicht alle 3 Tage eine neue Volksabstimmung stattfinden soll.
Da dies in allen seriösen Vorschlägen zur Einführung von Volksgesetzgebung ohnehin ausgeschlossen ist, ist der Satz einfach nur ein Nullum und keine Abkehr von der Forderung nach direkter Demokratie.

Hier ist der komplette Text des Mitgliederentscheids (2 Seiten pdf).

Wie weiter?


Die ganze Gemengelage hat für die junge Partei AfD eine große Sprengkraft.
Ausgerechnet der Spiegel, normalerweise Zentralorgan des linken Mainstreams in unserem ansonsten schönen Land, hat begriffen, um was es bei der ganzen Sache geht:
"Kriegen Bernd Lucke und die anderen nicht im letzten Moment noch die Kurve, haben sie mit endloser Rechthaberei und apolitischem Purismus ihr eigenes Projekt zersetzt. Es geschieht diesen eitlen Vortänzern recht.
Aber es geht um mehr. Vertan wird nämlich auch die Chance zu beweisen, dass das Parteiensystem in Deutschland geschmeidig genug ist, einem grummelnden Unbehagen im Land eine seriöse, politische und parlamentarische Stimme zu verschaffen."

So schließt Nikolaus Blome im Spiegel.

Und wie schließen wir?
Im Juni findet in Kassel ein Bundesparteitag mit Neuwahl des Bundesvorstands statt. Bis dahin kann sich jede/r überlegen, ob er oder sie vom ME und seinem Ergebnis so beleidigt ist, dass es zu Austritt mit oder ohne Abschieds-Stinkbombe reicht. Oder ob die zu Jahresbeginn verabredete Übereinkunft noch gilt, dass Bernd Lucke Vorsitzender und Frauke Petry stellvertretende Vorsitzende wird und dass Sektenprediger und ihre Jünger auf ihre jeweiligen Heimatgliederungen beschränkt bleiben.

* * *
Kommentare
#1 von "ThomasFügner": 2015-05-15 09:21
Danke, Fritz, ein schönes Beispiel meiner Erfahrung, wie unterschiedlich die Wertesysteme der AfD- Mitglieder strukturiert sind.
Und wie traurig, dass auch etablierte AfDler offenbar nicht darauf verzichten können, trotz der grossen Gemeinsamkeiten, die in einzelnen Punkten Andersdenkenden als Sektierer zu verteufeln.
Hier müssen wohl viele noch ganz viel lernen.
Ich auch.
#2 von "Teska": 2015-05-15 12:35
1. Der AfD-Vorstand besteht aus 3 Mitgliedern, (Petry, Lucke, Adam). Herr Lucke muss, wenn er mit der Konstellation nicht leben kann, zurücktreten oder sich mit seinen Kollegen einigen. Eigene Wege zu gehen ist undemokratisch.
2. Putinisten, NPD-Gutfinder etc. mögen nicht jedem Gefallen, haben aber das gleiche Recht auf Mitgliedschaft, sofern sie die Rechtsnormen einhalten.Die gibt es jedenfalls auch in anderen Parteien , ohne das es besonders stört. Also warum ist das in der AfD so ein Problem? Ich glaube, es liegt an Lucke und seinem Absulutheitsdrang, der sich in dieser "Hatz auf Rechts" manifestiert.
#5 von "Johann Vetter": 2015-05-26 12:37
Schön.
Du nennst differenzierend viele bedenkenswerte Aspekte und Argumente.

Ganz überwiegend sehe ich es ähnlich (auch z.B. das zum Putinismus und zur Familienideologie).
Den Ex-Spiegelianer Blome sehe ich mir bei "Augstein und Blome" in Phönix an. Er ist ja eher ein FDP-/Lindner-Fan.


Zwischenzeitlich gibt es eine gewisse neue Dynamik an der AfD-Spitze.
Ich bin gespannt wie sich das dann in knapp drei Wochen lösen wird.
3 Kommentare.

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